Der Löwe des Nordens

Eine Kurzgeschichte

Ich seufzte. Mal wieder hielt ich es nicht an diesem Ort aus.

Draußen vor der Tür blieb ich stehen und beschloss kurzerhand einen Spaziergang zu machen.

Eine gefühlte Ewigkeit ging ich durch die Natur.

Vor mir flog auf einmal ein schwarz schimmernder Vogel, ein Rabe, gen Himmel. Das Einzige, das er hinterließ, war eine seiner schwarzen Federn, die vor mir zu Boden schwebte. Zögernd hob ich sie auf und suchte noch einmal den Himmel und die Umgebung nach dem schwarzen Vogel ab, konnte aber nichts entdecken, das ihm überhaupt ähnlich sah. Kopfschüttelnd beschloss ich mit der Feder in der Hand zum Haus zurückzukehren.

 

Am Abend betrachtete ich unter meiner Schreibtischlampe die Rabenfeder. Warum hatte ich sie mitgenommen? Weil sie so schön schimmerte? Der Vogel war frei, er konnte überallhin, wohin ihn seine Flügel trugen. Die Feder alleine war zurückgeblieben. Sie konnte nicht mehr reisen.

"Ich wünschte, ich könnte auch fliegen wohin ich will," murmelte ich und betrachtete gedankenverloren die Feder. Plötzlich schwang leise das Fenster weit auf. Strinrunzelnd stand ich auf um es wieder zu schließen, welches wahrscheinlich der Wind geöffnet hatte. Seltsam. ich stellte fest, dass es komplett windstill war. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu! Und irgendwie war es auch unheimlich... Ich schaute die Rabenfeder in meiner Hand an... Und erstarrte vor Schreck. ich konnte zusehen, wie sie mit meiner Hand verschmolz und weitere Federn bildete. Aus meinem Arm wurde ein Flügel, der eines Rabes. Als ich meinen anderen Arm geschockt anschaute, passierte da dasselbse. Ich wurde kleiner und kleiner und an meinem ganzen Körper bildeten sich Federn und wurden zu einem schwarzen Federkleid. Wenig später hockte ich als Rabe auf meiner Fensterbank und blickte unsicher in den Abend hinaus.

"Na los, du hast es dir doch gewünscht," hörte ich jemanden sagen. Auf meiner Fensterbank landete prompt der Rabe, von dem die Feder stammte; ich wusste nicht woher, ich war mir einfach nur vollkommen sicher.

Ich schluckte und breitete unsicher meine neuen Schwingen aus, dann flog ich in den Abend hinaus. es war ein unglaubliches Gefühl. Ich konnte fliegen! Ich flog wirklich und wusste auch schon wohin ich wollte. Ich vermisste ihn. Ich wusste, wo er wohnte und ich hatte etwas gutzumachen. Eher würde ich nicht schlafen können. Der Weg war weit, ich wohnte weit im Norden. Um so schnell wie möglich dort anzukommen flog ich gen Süden, konnte aber trotzdem das unbeschreibliche Gefühl genießen als Mensch in Rabengestalt durch den Himmel zu fliegen. Doch wie sollte ich mich wieder zurückverwandeln? Darüber allerdings konnte ich mir immer noch Gedanken machen wenn ich dort war, ich sollte mir eher überlegen was ich zu ihm sagen sollte wenn ich da war. Und ich hatte keine Zeit zu verlieren!

Am frühen Morgen erreichte ich erschöpft den Ort, den ich so zielsicher angeflogen hatte. Ich hatte nicht mit eingeplant, dass Raben keine Zugvögel waren und daher keine langen Strecken flogen.

"Und wie soll ich mich jetzt zurückverwandeln?", fragte ich mich leicht verzweifelt, während ich einen Baum zum Landen anflog. Da passierte es. Ich bemerkte wie mir das Fliegen immer schwerer fiel und aus meine menschliche Größe zurückkehrte. "Oh verdammt!", rief ich entsetzt und fiel als Mensch vom Himmel, die Rabenfeder folgte mir, leicht im Wind tanzend.

 

Ich schlug die Augen auf. Wo war ich? Mein Kopf dröhnte entsetzlich. War das alles nur ein Traum gewesen? Ich hielt etwas in der Hand und stellte fest, dass es die Rabenfeder war. Oder war alles doch Wirklichkeit gewesen? Ich schaute mich um. Der Einrichtung nach zu urteilen war ich...

"Du bist wach!"

Erschrocken schaute ich ihn an. "Ich hatte dich im Garten gefunden. Da ich aber niemanden wecken wollte habe ich dich in mein Zimmer gebracht. Von wo bist du gekommen?", fragte er mich, doch ich wusste nicht so recht was ich sagen sollte. Mein Gefühl sagte mir dass das mit dem Raben nur wahr sein konnte, aber es klang mir nicht glaubwürdig. "Aus dem Norden," meinte ich einfach und strich mir eine Haarsträne aus dem Gesicht. Er lächelte und setzte sich neben mich auf sein Bett. "Aus dem Norden also... Löwe." Er lachte kurz und strich durch meine Haare. "Du bist ein Löwe... Ein Löwe aus dem Norden... Und es tut mir wirklich Leid," sagte er zu mir und umarmte mich, was meinen schmerzenden Körperteilen nicht wirklich half, obwohl es ein wunderschöner Moment war...

Die Geschichte mit der Feder, durch die ich hergekommen war, erzählte ich niemandem, es war mein Geheimnis und würde auch immer meines bleiben.

 

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